Interview

Im Gespräch mit Matthias Röck zu Desinformation und Demokratie

19.02.2025

Mit Informationen umzugehen und sie richtig einzuordnen wird immer wichtiger - gerade in Zeiten von digitalen Medien, Nachrichtenportalen und Messengerdiensten. Wir haben mit unseren Kolleg:innen Laura Hänsch und Matthias Röck vom Projekt Digital mobil im Alter über Informationsflut, Desinformation und Falschnachrichten gesprochen.

Im ersten Teil sprechen wir mit Matthias Röck. Es geht um Algorithmen sozialer Netzwerke und welche Auswirkungen sie auf uns und unsere Gesellschaft haben können. 


Dank des Internets haben wir Zugriff auf Unmengen an Informationen und können weltweit mit Menschen in Kontakt treten. Welche Auswirkungen hat dies auf Demokratie und Entscheidungsfindung?  

Das Wort Unmengen ist ein gutes Stichwort: Einerseits haben wir Zugang zu einer enorm großen Menge an Informationen. Gleichzeitig drückt es auch aus, dass es sich um eine Überfülle an Informationen handelt, welche die oder den Einzelne*n vor Herausforderungen stellen kann. Das Wort “Unmengen” trifft es insofern auch gut, da mit ihm zwei Seiten einer Medaille beschrieben sind, welche die Demokratie direkt betreffen. Der freie Zugang zu Informationen ist zwar eine Grundsäule einer demokratischen Gesellschaftsordnung, welche es den Menschen ermöglicht, eine informierte Entscheidung zu treffen, aber der Begriff “Unmengen” ruft auch die Assoziation von Grenzenlosigkeit, Überfülle und Maßlosigkeit hervor – Worte, die die gegenwärtige Entwicklungsrichtung mancher Social-Media-Konzerne treffend beschreiben.  

An was denken Sie da? 

Blicken wir in die USA, erleben wir derzeit einen grundlegenden Wertewandel bei einigen großen Plattformen: Weg von Faktenchecks, also der professionellen Überprüfung von Falsch- und Desinformationen, hin zu einer zunehmend aggressiven Diskussionskultur, bei der sich Meinungsfreiheit mit der Verbreitung von Hass und Desinformation vermischt. Das hat für die Ausgewogenheit der Informationen, auf die wir im Internet zugreifen können, tiefgreifende Folgen.  

Gleichzeitig müssen wir, was den Zugriff auf Informationen betrifft, in zwei Richtungen denken. Denn nicht nur wir als Nutzende greifen auf Informationen zu, auch auf unsere Informationen wird zugegriffen – und das ist heutzutage eine Normalität, die viele Nutzer*innen in Kauf nehmen.  

Können Sie ein Beispiel nennen? 

Bei diesen Informationen handelt es sich beispielsweise um unser Nutzungsverhalten, also darum, welche Beiträge wir anschauen, liken oder kommentieren. Es zählen aber auch Standortdaten und Informationen, die durch Tracking gesammelt werden, dazu. Wir hinterlassen also bei der Nutzung des Internets eine “Informationsspur”. Diese Daten werden von den Anbietern dazu genutzt, die angezeigten Inhalte zu personalisieren.  

Passende Videos klingen erstmal nicht schlecht – ich möchte ja keine uninteressanten Inhalte sehen. Warum ist das negativ? 

Wenn ich mir auf YouTube ein Video ansehe – sagen wir eines zu einem gesellschaftlichen Thema mit einer bestimmten politischen Färbung –, dann schlägt mir der Algorithmus weitere Videos mit ähnlichem Inhalt und höchstwahrscheinlich derselben politischen Färbung vor.  

Sehr wahrscheinlich werden mit aber auch Videos vorgeschlagen, die eine noch stärkere politische Färbung haben oder gar ins Extreme gehen – denn extreme Inhalte fesseln die Aufmerksamkeit besonders stark. Und genau darum geht es bei vielen Plattformen: möglichst lange Interaktion und hohe Engagement-Raten zu erzeugen. Das ist, wie Empfehlungsalgorithmen funktionieren und was im Fachjargon als “Filter- oder Informationsblase” bezeichnet wird.  

Wo sehen Sie hier das Problem? Geschieht so etwas nicht auch in der klassischen Medienwelt? 

Diese Filterblasen stellen für die Ausgewogenheit der Informationen ein echtes Problem dar, da andere Informationen, die nicht dem eigenen Standpunkt entsprechen, algorithmisch ausgeschlossen werden. Ziehen wir als Vergleich die klassische Tageszeitung heran, hier weiß man in der Regel, ob die Zeitung eher als linksliberal oder als konservativ gilt. Um sich möglichst objektiv zu informieren, ist es sinnvoll, verschiedene Zeitungen und Medien heranzuziehen. In Filterblasen hingegen geschieht genau das Gegenteil: Informationen werden gefiltert und oft nur einseitige Perspektiven verstärkt. Außerdem gibt es im Internet zahlreiche Akteure, die Informationen verbreiten, jedoch nicht den presserechtlichen und -ethischen Standards verpflichtet sind. Diese Standards, an die sich seriöse Medien in der Regel halten, sollen gewährleisten, dass Informationen möglichst ausgewogen und faktenbasiert vermittelt werden. Allerdings bietet auch dies nur eine relative Sicherheit, denn der Umgang mit Quellen, seien sie analog oder digital, setzt immer auch eine gewisse Medienkompetenz aufseiten der Lesenden voraus, also die Fähigkeit Medien kritisch einordnen und reflektieren zu können.  

Sie erwähnten eingangs zwei Seiten einer Medaille – gibt es denn auch positive Entwicklungen? 

Ja - Durch das Internet ist die Verbreitung von Informationen demokratischer geworden. Denn nicht mehr nur traditionelle Medienhäuser können Inhalte veröffentlichen, sondern auch individuelle Akteure wie investigative Journalist*innen, Blogger*innen und Menschenrechtsaktivist*innen finden eine Plattform, auf der sie z.B. über Missstände in Ländern berichten können, in denen Zensur herrscht. Außerdem erhalten Menschen eine Stimme, die in politischen Diskursen unterrepräsentiert sind. Allerdings bedürfen diese Minderheiten im Kontext sozialer Medien besonderen Schutz vor Anfeindungen. Hier müssen wir mit Bedauern feststellen, dass dieser Schutz in den USA von den Plattformbetreibern zugunsten einer aggressiveren Diskussionskultur zunehmend abgebaut wird. Die Antwort auf die Frage, welche Auswirkung der Zugang zu einer Unmenge an Informationen auf die Demokratie hat, ist also äußerst komplex und hängt nicht nur von der Art der Informationen ab, die uns im Internet begegnen, sondern ganz entscheidend auch von der Medienkompetenz der Menschen, die auf sie zugreifen. Wir müssen eigentlich in der Lage sein, die Strukturen heutiger Medien zu begreifen und die Funktionsweisen von Algorithmen zu durchblicken. Auch müssen wir uns die Quellen der Informationen, die uns im Netz begegnen, viel genauer anschauen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf Desinformation (“Fake News”) und sogenannte Deepfakes, also Bilder, Stimmen und Videos, die durch KI erzeugt oder manipuliert wurden. 


Zweiter Teil des Interviews

Im zweiten Teil des Interviews geht es um Falschnachrichten und wie mit ihnen umgegangen werden kann. Das Interview wurde gemeinsam mit Laura Hänsch und Matthias Röck von Digital mobil im Alter geführt.

Zweiter Teil des Interviews 

Digital Mobil im Alter

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